Nikolaus Schneider

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Nikolaus Schneider (2006)
Nikolaus Schneider am 1. Juni 2012 beim Ökumenischen Gottesdienst beim Hessentag im Wetzlarer Dom

Nikolaus Schneider (* 3. September 1947 in Duisburg) ist ein deutscher evangelischer Theologe. Er war von 2003 bis 2013 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Vom 9. November 2010 bis zum 10. November 2014 war er Ratsvorsitzender der EKD und damit höchster Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Schneider machte 1966 sein Abitur am Steinbart-Gymnasium in Duisburg-Stadtmitte. Nach dem Studium der evangelischen Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal und den Universitäten in Göttingen und Münster wurde der Sohn eines Hochofenarbeiters aus Duisburg-Huckingen am 14. November 1976 ordiniert. Von 1977 bis 1984 war er Pfarrer in Rheinhausen, wo er sich für die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Kohle- und Stahlindustrie einsetzte. Von 1984 bis 1991 war Schneider Diakoniepfarrer des Kirchenkreises Moers. Zwischen 1987 und 1997 bekleidete er zudem das Amt des Superintendenten im Kirchenkreis Moers. 1997 wurde er Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland und 2003 zum Nachfolger von Manfred Kock als Präses der rheinischen Landeskirche gewählt und in der Friedhofskirche in Wuppertal-Elberfeld in sein Amt eingeführt. Die Landessynode bestätigte ihn im Januar 2005 für weitere acht Jahre in diesem Amt. Ans Ende dieser Amtszeit fiel ein Skandal um das kirchliche Beihilfe- und Bezüge-Zentrum (bbz) in Bad Dürkheim, das durch Finanzspekulationen an den Rand der Insolvenz geraten war und durch die Landeskirche gerettet werden musste.[1] Schneiders Nachfolger Manfred Rekowski trat das Amt zum 1. März 2013 an.

Schneider ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb im Februar 2005 an Leukämie. Über das Leiden und den Tod seiner Tochter schrieb Schneider zusammen mit seiner Frau Anne ein Buch.

Schneider war seit dem Rücktritt Margot Käßmanns am 24. Februar 2010 Vorsitzender des Rates der EKD. Er hatte angekündigt, er werde das politische Engagement Käßmanns fortführen und sich nicht nur auf kirchliche Fragen beschränken.[2] Schneider trat wegen einer Krebserkrankung seiner Ehefrau von seiner Funktion zurück und schied auch aus dem Rat aus.[3][4] Heinrich Bedford-Strohm wurde sein Nachfolger.

Nikolaus Schneider auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2007 in Köln

Politik und Ethik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schneider gilt als Verfechter einer solidarischen und liberalen Gesellschaftsordnung. Er betont in diesem Zusammenhang die Besinnung auf eine Sozial- und Wirtschaftsethik.[5] Wiederholt warnte er vor einem zu großen Einfluss multinationaler Unternehmen, was die demokratischen Strukturen gefährde; zudem kritisierte er ein nur auf Profit ausgerichtetes Handeln in der Wirtschaft und warnte vor „sozialer Kälte“.[6]

Waffenproduktion und deren Einsatz lehnt er nicht generell ab. Zum Thema Waffenexporte äußerte er sich in dem ARD-Beitrag Tod für die Welt-Waffen aus Deutschland. Er sagte 2013 im Interview: „Das Böse in der Welt ist eine Realität“ und berief sich auf die Barmer Theologische Erklärung von 1934 dahingehend: „Aufgabe des Staates ist es unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen, das bezog sich (damals 1934) auf die Polizei nach innen. Das kann man aber auch auf die ganze Welt beziehen, wenn man sagt, die UNO nimmt so eine quasi staatliche Position ein. Für solche Zusammenhänge wird man Waffen brauchen.“[7]

In einem Kirchenwort zu Afghanistan, das Schneider am 25. Januar 2010 mitveröffentlichte, warnte die EKD vor einem bloßen „Weiter so“ in der Afghanistanpolitik (Deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan). Dies würde dem militärischen Einsatz die friedensethische Legitimation entziehen.[8] Allerdings sagte Schneider mit einem Verweis auf einen Besuch im Südsudan im RBB-Inforadio: „Wenn man die Lage in einem solchen Land erlebt, dann begreift man, dass es so etwas wie ein Wüten des Bösen und der Gewalt gibt.“ Es brauche dann militärische Kraft, „um für einen Raum zu sorgen, in dem sich dann anderes entwickeln kann“, ergänzte der Theologe. Jedoch stellte er klar, Militär könne keinen Frieden schaffen. Es könne aber dafür sorgen, dass die massiven gewalttätigen Auseinandersetzungen gestoppt werden. Dafür könne ein Einsatz von Militär gerechtfertigt sein. Er bezog sich auf eine Aussage von Bundespräsident Joachim Gauck im Januar bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Dort hatte Gauck gefordert, Deutschland müsse „mehr Verantwortung in der Welt übernehmen“ und dabei militärisches Engagement ausdrücklich nicht ausgeschlossen.[9]

Aus grundsätzlichen Überlegungen ist Schneider für einen Ausstieg aus der Atomtechnologie.[10] Er befürwortete Demonstrationen gegen die Castor-Transporte.[11]

Medizinethisch tritt er (Stand 2010) für eine Lockerung bestehender Gesetze ein. Ihm missfalle in der Kirche, dass die gegenwärtige Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik zu stark an Prinzipien und zu wenig an der Situation der Betroffenen ausgerichtet sei.[12]

Schneider gehört zu den Initiatoren der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union, die Ende November 2016 veröffentlicht wurde. Seit 2016 ist er Mitglied der DFB-Ethik-Kommission.

Verhältnis zum Islam

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2007 rief er die Muslime dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Christen in der Türkei Kirchen bauen, Land erwerben und Vereinigungen bilden dürfen.[13] Er hält das seiner Meinung nach rein taktische Verhältnis muslimischer Verbände gegenüber dem Grundgesetz und dem säkularen Staatswesen für problematisch. Den ersten Entwurf der Architekten für die DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld kritisierte er als imperial und anmaßend.[14] Der Entwurf solle mehr den integrierenden, dienenden Charakter von Religion zum Ausdruck bringen. Es müsse auch nicht sein, dass die Minarette den Turm einer nahe gelegenen evangelischen Kirche überragten. Die Gestaltung solle sich danach ausrichten, was die Menschen in ihrer Mehrheit hinzunehmen bereit sind.[15]

Verhältnis zum Judentum

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nikolaus Schneider bei einer Kundgebung gegen Judenhass in Berlin (September 2014)

Im September 2009 erklärte Schneider in einer Vorlesungsreihe zur Klärung der Positionen im christlich-jüdischen Gespräch, dass Judenmission für Christen und Kirche nach heutigem Verständnis der Bibel verboten sei. Er verstehe, dass Juden jeden Missionierungsversuch als „die Existenz des jüdischen Volkes bedrohende Form von Judenverfolgung“ ansehen müssten. Die Kirche sei nicht an die Stelle Israels getreten, sondern an die Seite Israels berufen. Bis zum Beschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ von 1980 sei die christlich-theologische Tradition von einer antijüdischen Sicht geprägt gewesen.[16]

Kreuzestheologie

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kurz vor Ostern 2009 beteiligte sich Schneider an der Debatte um die Bedeutung des Todes Jesu.[17][18] In einem Interview betonte Schneider: „Wir finden [in der Bibel] verschiedene Interpretationen des Kreuzes und des Zusammenhangs von Kreuz und Auferstehung.“[18] Er lehnte zum einen die Satisfaktionslehre ab, die betont, der Tod Jesu sei nötig gewesen, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten. Zum andern sprach er sich gegen eine Interpretation des Sterbens Jesu als Sühnopfer aus. Jesus habe unsere Schuld zwar „mitgetragen“, aber nicht an unserer Stelle getragen, das heißt „nicht im Sinne einer stellvertretenden Übernahme von Strafe“.[18] Damit widersprach er der in weiten Teilen der Christenheit vertretenen Lehre vom stellvertretenden Tod Jesu.[19]

2010 wurde ihm der Europäische Handwerkspreis verliehen.[20] Die Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel verlieh Schneider am 19. Oktober 2011 die theologische Ehrendoktorwürde.[21] 2012 erhielt er die Buber-Rosenzweig-Medaille. 2013 erhielt Schneider den vom Zentralrat der Juden in Deutschland verliehenen Leo-Baeck-Preis.[22] 2014 wurde ihm das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

Im September 2015 erhielt Schneider von Bundespräsident Joachim Gauck das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.[23]

  • mit Anne Schneider: Wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist. Leben und Glauben mit dem Tod eines geliebten Menschen. Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2006, ISBN 978-3-7975-0138-7
  • Von Erdenherzen und Himmelsschätzen. Neukirchener Aussaat, Neukirchen-Vluyn 2011, ISBN 978-3-7615-5843-0
  • mit Martin Urban und Oswald Huber (Cartoons): Was kann man heute noch glauben? Ein Disput. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013, ISBN 978-3-579-08501-2.
  • mit Peter Zimmerling: Morgen Kirche sein : Gemeinde glauben, denken und gestalten / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023. ISBN 978-3-525-60017-7.
  • Kolumne im Monatsmagazin Chrismon: Auf ein Wort
als Herausgeber/
  • „… weil ich gehalten werde“. Johannes Rau – Politiker und Christ. Hänssler, Holzgerlingen 2006, ISBN 978-3-7751-4490-2.
  • Als flögen wir davon. Über die letzte Wegstrecke. Kreuz, Hamburg 2017, ISBN 978-3-946905-10-3.
  • Glaube, Liebe, Hoffnung. Die Bibel der Politikerinnen und Politiker. Kreuz, Hamburg 2018, ISBN 978-3-946905-46-2.
  • Thomas Weckelmann: Nikolaus Schneider – Zwischen theologischer Reflexion und politischem Gestaltungswillen. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka (Hrsg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Landsberg/München 1997ff. (I-14.9.12), 39. Ergänzungslieferung 2014, S. 1–12.
Commons: Nikolaus Schneider – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Dorothea Hülsmeier: Präses Nikolaus Schneider verabschiedet sich mit Selbstkritik. In: saarbrücker-zeitung.de. Archiviert vom Original am 17. Februar 2013; abgerufen am 23. September 2019.
  2. Käßmann-Nachfolger will sich in die Politik einmischen. In: Zeit Online. 25. Februar 2010, abgerufen am 23. September 2019.
  3. Evangelische Kirche: EKD-Chef Schneider tritt zurück. In: Spiegel Online. 30. Juni 2014, abgerufen am 23. September 2019.
  4. EKD-Chef Schneider kündigt Rückzug an. In: Zeit Online. 30. Juni 2014, abgerufen am 23. September 2019.
  5. Schneider soll Käßmanns Nachfolger werden. In: Zeit Online. 28. Februar 2010, abgerufen am 29. Juni 2020.
    Reinhard Bingener: Im Porträt: Präses Nikolaus Schneider: Sozial und überzeugt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Februar 2010 (faz.net).
  6. Ingo Lehnick: Kein Gewinn um jeden Preis: Rheinischer Präses Schneider mahnt christliche Unternehmer. In: Domradio. 24. Februar 2009, archiviert vom Original am 1. März 2009; abgerufen am 29. Juni 2020 (epd-Interview).
    Thomas Rünker: Präses Nikolaus Schneider fürchtet mehr soziale Kälte. In: Der Westen. 7. Oktober 2009, abgerufen am 29. Juni 2020.
  7. Ankündigung zur Sendung Tod für die Welt: Waffen aus Deutschland. Film von Jule Sommer und Udo Kilimann. In: daserste.de. 16. März 2013, archiviert vom Original am 24. März 2013; abgerufen am 29. Juni 2020.
  8. Afghanistan: EKD warnt vor „Weiter so“. In: fr-online.de. 26. Januar 2010, archiviert vom Original am 31. Januar 2010; abgerufen am 29. Juni 2020.
  9. EKD-Ratsvorsitzender Schneider: „Militäreinsätze können Gewalt stoppen“. In: faz.net. 26. Juni 2014, abgerufen am 29. Juni 2020.
  10. Reinhard Bingener: Im Gespräch: Nikolaus Schneider: „Staatsleistungen sind kein Almosen“. In: faz.net. 6. November 2010, abgerufen am 29. Juni 2020.
  11. Atom: Kirche befürwortet Sitzblockaden der Castor-Gegner. In: Focus Online. 9. November 2010, abgerufen am 29. Juni 2020.
  12. Reinhard Bingener: Der neue EKD-Ratsvorsitzende: Nikolaus Schneider – ein Gestalter mit Geschick. In: faz.net. 9. November 2010, abgerufen am 29. Juni 2020.
  13. D: Muslime sollen Religionsfreiheit fördern (Memento vom 11. Oktober 2007 im Internet Archive); Radio Vatikan, 30. Mai 2007
  14. Joachim Frank: Kölner Moscheebau – „Die Architektur ist triumphierend angelegt“ (Interview mit Schneider), Kölner Stadtanzeiger, 30. August 2007
  15. D: Präses gegen hohe Minarette in Köln (Memento vom 10. Oktober 2007 im Internet Archive); Radio Vatikan, 31. August 2007.
  16. Präses Schneider: Judenmission ist der Kirche verboten. In: jesus.de. 18. September 2009, abgerufen am 6. April 2019.
  17. Theologiestreit – Warum starb Jesus Christus am Kreuz? In: Die Welt, 23. März 2009, abgerufen am 19. September 2009
  18. a b c Wolfgang Beiderwieden, Volker Göttsche: Gott braucht kein Sühneopfer, denn er muss nicht besänftigt werden, sagt Nikolaus Schneider, Präses der rheinischen Kirche (Memento vom 16. August 2011 im Internet Archive) (pdf; 278 kB; Interview mit Schneider), karfreitag, chrismon plus rheinland 4/2009, S. 44–47.
  19. Vgl. die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung; 1999, Abschnitt 10.
    Zur Geschichte und Theorie der Interpretation des Sühnetodes Jesu siehe: Douglas Atchison Campbell: An Apocalyptic Rereading of Justification in Paul. Grand Rapids (Michigan) 2009, S. 11–221.
  20. Nikolaus Schneider 15. Träger des Europäischen Handwerkspreises in Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfälischer Handwerkstag e. V., 7. März 2012, abgerufen am 10. März 2015.
  21. Laudatio auf Präses Nikolaus Schneider (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive) (PDF-Datei; 183 kB); evangelisch-wuppertal.de, 20. Oktober 2011
  22. EKD-Ratsvorsitzender Schneider erhält Leo-Baeck-Preis 2013. Presseerklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland vom 27. Mai 2013; abgerufen am 1. Juli 2014
  23. Aachener Zeitung vom 15. September 2015, S. 2